Recht und Justiz

Polizist – auch in der Freizeit

Von Prof. Dr. Mirko Faber und KHK`in Kathleen Kiske-Kunter, Güstrow/Neubrandenburg¹

 

4 Einschreiten bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Ordnungswidrigkeiten


Die Aufgaben der Polizei im Ordnungswidrigkeitenrecht sind im § 53 OWiG definiert. Demnach hat die Polizei die Verdunklung einer Sache zu verhindern, indem nach pflichtgemäßem Ermessen Ordnungswidrigkeiten erforscht und dabei alle unaufschiebbaren Anordnungen getroffen werden. Hier gelten dieselben Rechte und Pflichten wie bei der Verfolgung von Straftaten, gleich dem Legalitätsprinzip, soweit das Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt.36


In der Pflicht der zuständigen Verfolgungsorgane besteht zwischen dem Strafverfahren und dem Bußgeldverfahren ein erheblicher Unterschied. Wie bereits beschrieben, unterliegen Staatsanwaltschaft und Polizei dem Legalitätsprinzip und sind verpflichtet, bei Vorliegen des Anfangsverdachts einer Straftat zu handeln. Bei Verstößen können sie sich gemäß §§ 258, 258a StGB strafbar machen. Gemäß § 47 Abs. 1 OWiG besteht bei der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten hingegen keine Pflicht zur Ahndung (Opportunitätsprinzip). Alle Verfolgungsbehörden37 von Ordnungswidrigkeiten sind befugt, in bestimmten Verfahrensabschnitten frei über die Einleitung, die Fortsetzung oder den Abschluss des Verfahrens zu entscheiden. Die vom Opportunitätsprinzip gestattete Freiheit darf nicht zu Willkürentscheidungen führen.38 Der Gleichheitsgrundsatz ist zu beachten. Es ist sachbezogen und verhältnismäßig vorzugehen.39 Die einzelne Maßnahme ist ins Verhältnis zu anderen Dienstpflichten zu setzen.40


Die Herrschaft über das Vorverfahren liegt im Allgemeinen bei der Verwaltungsbehörde, die das Verfahren einleitet, Ermittlungsmaßnahmen anordnet und eine abschließende Entscheidung für das Vorverfahren trifft, z.B. mit der Verhängung eines Bußgeldbescheides (§ 35 Abs. 1 OWiG).41


Neben der alleinigen Zuständigkeit der Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 StVG (Straßenverkehrsgesetz) nach §§ 24, 24a und c StVG, die im Straßenverkehr begangen werden, kann die Polizei im Auftrag einer Verwaltungsbehörde als deren Ermittler tätig werden.42 Über § 46 Abs. 1 und Abs. 2 OWiG findet § 161 Abs. 1 StPO Anwendung und verleiht der Verwaltungsbehörde das Recht, Ermittlungen durch Polizeibeamte durchführen zu lassen. Die Polizei hat dem Auftrag Folge zu leisten.43


Die Polizei hat die gleichen Rechte und Pflichten wie bei der Verfolgung von Straftaten,44 wenn sie eigenständig Ordnungswidrigkeiten ermittelt (§ 53 Abs. 1 Satz 2 OWiG). Somit ist es beispielsweise möglich, die Identität eines Betroffenen auf Grundlage des § 163b Abs. 1 Satz 1 StPO festzustellen. Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft45 dürfen zudem besondere Eingriffsmaßnahmen anordnen (§ 53 Abs. 2 OWiG). Nach Aufklärung des zu bearbeitenden Sachverhaltes sind die Ermittlungsunterlagen sofort an die Verwaltungsbehörde zu übersenden (§ 53 Abs. 1 Satz 3 OWiG).46


Sobald die Polizei dienstlich von einem Sachverhalt Kenntnis erlangt, erfolgt die Ermittlung dieses Sachverhalts von Amts wegen. Außerdienstlich erlangte Kenntnisse verpflichten grundsätzlich nicht zur Verfolgung.47 Jedoch kann bei bedeutsamen Ordnungswidrigkeiten aus disziplinarrechtlicher Sicht eine andere Beurteilung gegeben sein.48

 

5 Einschreiteverpflichtung nach dem Beamtenrecht


Die verfassungsrechtlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums sind im Art. 33 Abs. 4 und 5 GG verankert. Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die im Art. 33 Abs. 5 GG erwähnt werden und nach denen das Recht des öffentlichen Dienstes zu regeln und fortzuentwickeln ist, sind als beamtenrechtliche Rechte und Pflichten einheitlich in den §§ 33 bis 53 BeamtStG geregelt.49 Sie bilden die Grundlage für die Regelungen der Beamtenpflichten.50 Hierzu gehören unter anderem das öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnis (§ 33 BeamtStG), die volle Hingabe zum Beruf (§ 34 BeamtStG) und das achtungs- und vertrauenswürdige Verhalten (§ 34 BeamtStG), auf die in der Folge näher eingegangen wird:


Der Polizeibeamte hat sich durch seine gesamte inner- und außerdienstliche Haltung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu bekennen und für deren Erhaltung einzutreten. Die Nichtbeachtung dieser Pflicht kann unter Umständen die Entlassung oder die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zur Folge haben. Nur ein aktives Handeln führt hier zu einem pflichtwidrigen Verstoß.51 Die volle Hingabe an den Beruf oder auch die Hingabepflicht bedeuten, dass sich der Beamte mit vollem persönlichen Einsatz seinem Beruf hinzugeben hat.52 Hier reicht die Erfüllung der allgemeinen Dienstplicht zur Ausübung des Berufes nicht aus, ein vermehrter Einsatz unter Zurückstellung persönlicher Belange ist unabdingbar.53 Diese Vorschrift bezieht sich vornehmlich auf die reguläre Dienstzeit.54


Dieses Gesetz gilt als Generalklausel für das Verhalten eines Beamten und beinhaltet verschiedene Tatbestände, wie beispielsweise die Pflicht zur Wahrheit bei dienstlichen Äußerungen, die Pflicht zur Auskunftserteilung möglichweise ohne Befragung jedoch unter Beachtung der Gefahr der eigenen strafrechtlicher oder disziplinarrechtlicher Verfolgung, das Verbot der Trunkenheit im Dienst, die Pflicht der Unterlassung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten im Dienst und sich nicht herablassend und verächtlich zu äußern.55


Im Beamtenstatusgesetz wird die außerdienstliche Betrachtungsweise des Wohlverhaltens nicht erwähnt, wenngleich das Verhalten außerhalb des Dienstes im § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG als mögliches Dienstvergehen benannt ist.56


Wie bereits erläutert, muss der Polizeibeamte in seiner Freizeit nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen dienstlich tätig werden. Diese Einschränkung ist auch Ausdruck seiner Nähe zum Staat, die sich aus der Treuepflicht gemäß Art. 33 Abs. 4 GG ergibt. Das BeamtStG legt zu Grunde, dass das Verhalten im Dienst und außerhalb des Dienstes unterschieden und eine qualifizierte Verhaltensweise außerhalb des Dienstes als Dienstvergehen eingeschätzt werden kann.


Somit kann gesagt werden, dass auf Grundlage des Legalitätsprinzips und des Beamtenstatusgesetzes „die Amtspflicht des Beamten nicht an der Schwelle seines Büros endet.“57 Die Befugnis und die Pflicht des Polizeibeamten einzuschreiten, unterbleibt nicht, wenn er dienstfrei hat und Zivilkleidung trägt.58 Somit ist ein Polizeibeamter auch dann sachlich zuständig, wenn er sich nicht im Dienst befindet. Dementsprechend kann ihm die Treuepflicht gemäß Art. 33 Abs. 4 GG auferlegen, die Interessen des Staates auch außerhalb des Dienstes wahrzunehmen. Die Nichteinhaltung dieser Verpflichtung kann strafrechtlich nur unter bereits oben beschriebenen Voraussetzungen zu einer Ahndung führen, beamtenrechtlich betrachtet, kann aber auch schon ein Dienstvergehen begründet sein. Zunächst erscheint diese Ansicht als Widerspruch, denn ein vorschriftsmäßiges Verhalten des Polizeibeamten kann nach straf-, strafprozess- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Bewertungen nicht zugleich dienst- und pflichtwidrig sein.59 Dabei sind Außen- und Innenwirkung des Handelns eines Polizeibeamten zu unterscheiden. Ein Polizeibeamter handelt nach außen nicht rechtswidrig, da für sein Handeln Gesetze zu Grunde liegen, die vorgeben, was er unter welchen Voraussetzungen darf. Sein Verhalten nach innen kann jedoch pflichtwidrig und pflichtgemäß sein. Ein Polizeibeamter verhält sich pflichtgemäß, wenn er angesichts seines Beamtenverhältnisses sein Einschreiten im Einzelfall für erforderlich hält, das bedeutet, dass sein Unterlassen zu unhaltbaren Ergebnissen führen würde. Einige Verhaltensweisen eines Polizeibeamten können bei außerdienstlichem Einschreiten ein pflichtwidriges Verhalten widerspiegeln.


Das Dienstvergehen ist die Grundlage der disziplinarrechtlichen Verfolgung. Die Pflichtverletzung hingegen ist die Folge aus dem konkreten Pflichttatbestand. Diese Pflichttatbestände sind unter anderem im Landesbeamtengesetz bzw. im Beamtenstatusgesetz normiert.


Im Beamtenrecht gibt es keinen festgelegten Rahmen der Bemessung der Ahndung für bestimmte Verstöße und keine definierten Einzeltatbestände.60 Ein Dienstvergehen im Sinne des § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG wird nur dann begangen, wenn der Polizeibeamte die ihm obliegenden Pflichten schuldhaft verletzt. Außerhalb der Dienstzeit stellt das Verhalten des Polizeibeamten im Sinne des


§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG nur dann ein Dienstvergehen dar, wenn dieses „nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für sein Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.“61 Als außerdienstliches Verhalten wird das Verhalten einer Privatperson bezeichnet. Somit wird davon ausgegangen, dass sich der Beamte nicht immer im Dienst befindet. 62


Zu den Voraussetzungen eines Dienstvergehens gehören

  • die Beamteneigenschaft,
  • die Handlung durch Tun oder Unterlassen verstößt gegen mindestens eine Beamtenpflicht (Dienstpflichtverletzung),
  • es liegen keine Rechtfertigungsgründe vor,
  • Verschulden,
  • Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit.

Bei Fehlen einer Voraussetzung liegt kein Dienstvergehen vor. Ein Dienstvergehen ergibt sich tatbestandsmäßig aus den inner- und außerdienstlichen Beamtenpflichten. Bei den außerdienstlichen Beamtenpflichten müssen zudem besondere Voraussetzungen vorliegen.


So ist es anerkannt, dass ein Polizeibeamter gegen die Dienstpflichten, die sich bis auf sein Privatleben ausweiten, verstoßen kann, wenn er sich bei außerdienstlicher Kenntniserlangung über eine Straftat nicht in den Dienst versetzt.63 Eine volle Dienstfähigkeit eines Polizeibeamten ist dafür – z.B. wegen einer Minderung infolge von Alkoholkonsum – nicht erforderlich.64


Polizeibeamte haben sich mit vollem persönlichem Einsatz ihrem Beruf zu widmen und die ihnen übertragenen Aufgaben selbstlos nach bestem Gewissen wahrzunehmen. Das Verhalten der Polizeibeamten muss der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die der Beruf als Polizeibeamter erfordert.65 Ein Verstoß gegen diese Wohlverhaltenspflicht könnte als Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG geahndet werden und somit ein Disziplinarverfahren zur Folge haben. Die Wohlverhaltenspflicht außerhalb des Dienstes wird durch § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG eingeschränkt. Demnach ist ein Verhalten außer Dienst nur dann ein Dienstvergehen, wenn es geeignet ist, nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in einer für ihr Amt relevanten Weise zu beeinträchtigen.66

 

 

6 Fazit


Unumstritten ist die Pflicht zur Strafverfolgung bei dem Anfangsverdacht einer Straftat, die Pflicht zur Erforschung von Ordnungswidrigkeiten nach pflichtgemäßem Ermessen und die Pflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach dienstlicher Kenntniserlangung. Eine Pflicht zum Einschreiten eines Polizeibeamten bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten ist gesetzlich nicht geregelt. Nach Auffassung der Rechtsprechung kann und muss sich ein Polizeibeamter bei außerdienstlicher Kenntniserlangung

 

  • von Straftaten, die in § 138 StGB erfasst sind,
  • bei schweren Vergehen,
  • bei Verbrechen,
  • bei bedeutsamen, die Öffentlichkeit besonders berührenden Straftaten und
  • bei Dauerdelikten bzw. auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen, die während der Dienstausübung fortwirken,
  • immer wirksam in den Dienst versetzen, damit er sich nicht der Strafvereitelung im Amt oder der Unterlassenen Hilfeleistung strafbar macht oder dienstrechtliche Konsequenzen zu erwarten hat.

Außerdienstlich erlangte Kenntnisse von Ordnungswidrigkeiten verpflichten grundsätzlich nicht zur Verfolgung.

 

Im Gefahrenabwehrrecht gibt es ebenfalls keine gesetzlichen Vorgaben, die den Polizeibeamten verpflichten, sich wirksam in den Dienst zu versetzen. Obwohl ein Polizeibeamter lediglich während der Dienstzeit eine Garantenstellung für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter ausübt, könnte ein außerdienstliches Einschreiten in Ausnahmefällen dennoch erforderlich sein, wenn eine Gefahr im Verzug oder eine Gefahr für Leib oder Leben oder für die Freiheit einer Person gegeben ist. Im Falle eines Nichteinschreitens ist hier zu prüfen, ob der Straftatbestand der Unterlassenen Hilfeleitung gemäß § 323c StGB erfüllt ist. Die Rechtsprechung negiert im Gefahrenabwehrrecht ein wirksames „Sich-in-den Dienst-versetzen“, wenn private Belange im Vordergrund stehen und bejaht die Pflicht zum Einschreiten zur Verhinderung einer Straftat, bei der das öffentliche Interesse überwiegt.


Aus dienstrechtlicher Sicht ist aufgrund der Treue- und Wohlverhaltenspflicht sowie der Pflicht der vollen Hingabe zum Beruf immer ein Einschreiten des Polizeibeamten auch außerhalb seiner Dienstzeit geboten. Bei einem Nichteinschreiten könnte eine Dienstpflichtverletzung vorliegen, die dienstrechtliche bzw. disziplinare Konsequenzen zur Folge haben kann.


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