Recht und Justiz

Polizist – auch in der Freizeit

Von Prof. Dr. Mirko Faber und KHK`in Kathleen Kiske-Kunter, Güstrow/Neubrandenburg¹

 

1 Einleitung

 

Ob, wann und in welchem Umfang Polizeibeamter bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dazu verpflichtet sind, sich in den Dienst zu versetzen, soll im Folgenden einer aktuellen Betrachtung unterzogen werden. Da es fortwährend zu Situationen kommen kann, in denen sich Polizeibeamte in ihrer Freizeit in den Dienst auch tatsächlich versetzen oder versetzen müssten, ist eine grundlegende Kenntnis der Rechtslage für den einzelnen Beamten durchaus als relevant einzustufen. Die Voraussetzungen einer Einschreiteverpflichtung, sowie die Konsequenzen etwaiger Fehler variieren in Abhängigkeit vom betroffenen polizeilichen Aufgabenbereich nicht unerheblich, weshalb konsequenter Weise vorliegend eine separate Betrachtung von Strafverfolgung, Ordnungswidrigkeitenverfolgung und Gefahrenabwehr erfolgen soll.

 


Am intensivsten sind die drohenden Konsequenzen im Bereich der Strafverfolgung einzuschätzen; immerhin droht im Falle des pflichtwidrigen Nichteinschreitens ein Strafverfahren gegen den Polizeibeamten wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt durch Unterlassen nach §§ 258a, 13 StGB.2 In den Aufgabenbereichen Ordnungswidrigkeitenverfolgung und Gefahrenabwehr sind in entsprechenden Fällen eher dienstrechtliche Folgen einschlägig. Auf der anderen Seite stehen immer auch potentielle Ansprüche gegenüber dem Dienstherrn, beispielsweise in Fällen eines Dienstunfalls, in starker Abhängigkeit von der Zulässigkeit des sich in den Dienstversetzens im Raume. Hinzu tritt der Umstand, dass den Beamtinnen und Beamten nur in den Situationen in denen das „Sich-in-den Dienst-versetzen“ zulässig ist, auch hoheitliche Befugnisse in Sinne einer „Sonderzuständigkeit“ erwachsen können.3

 

2 Einschreiten bei außerdienstlicher Kenntniserlangung von Straftaten


Das Legalitätsprinzip gem. § 163 Abs. 1 StPO verpflichtet die Polizei, die Ermittlungen aufzunehmen, sobald der Anfangsverdacht einer Straftat gegeben ist. Hiernach sind alle zulässigen, geeigneten und erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen sind, um die Straftat aufzuklären.4 Hierin ist zugleich die Ermächtigungsgrundlage im Sinne einer Generalklausel für bestimmte Ermittlungseingriffe enthalten, welche sich durch eine relativ geringe Grundrechtsrelevanz und das Fehlen einer speziellen Ermächtigungsgrundlage auszeichnen.5 Das Legalitätsprinzip verpflichtet Polizeibeamte ebenfalls, „Straftaten aus ihren eigenen Reihen aufzuklären und nicht etwa zu verdecken oder zu ignorieren.“6 Wohlgemerkt gilt dieser Grundsatz in seiner Absolutheit natürlich nur für den sich im Dienst befindlichen Polizeibeamten.


Im Spannungsfeld zwischen dem Legalitätsprinzip und der Achtung der Privatsphäre steht die Frage nach einem Verfolgungszwang auch bzgl. solcher Tatsachen, von denen durch die Polizeibeamten außerdienstliche Kenntnis erlangt worden ist.7


Vereinzelt wird daran gezweifelt, ob überhaupt ein Verfolgungszwang angenommen werden kann, soweit die Kenntniserlangung klar und ausschließlich aus dem privaten Bereich resultiert.8


Natürlich kann die Privatheit der Kenntniserlangung nichts daran ändern, dass die spätere Faktenkenntnis auch beim Amtsträger während seiner Dienstausübung weiterhin präsent ist.9 insoweit käme auch niemand auf die Idee, sonstige basale Grundkenntnisse, die außerhalb des Dienstes erlangt worden sind (wie z.B. das „Einmaleins“), aus dem Kopf des Amtsträgers gleichsam „auszublenden“, wenn sich nur im Zusammenhang mit diesen Grundkenntnissen auch der Verdacht einer Straftat ergibt.


In der Rechtsprechung wird eine Abwägungslösung favorisiert, nach welche besondere Konstellationen der außerdienstlichen Kenntniserlangung von Straftaten – wie Dauerdelikte, fortgesetzte oder auf ständige Wiederholung angelegte Handlungen – in die Dienstausübung des Polizeibeamten fortwirken.10 In der Folge entfällt die eine Garantenstellung auslösende Pflicht, bekanntgewordene Rechtsgutsverletzungen zu unterbinden, nicht schlechthin. Vielmehr erfolgt eine Abwägung im Einzelfall, ob das öffentliche Interesse11 den privaten Belangen vorgeht.12 Entscheidendes Kriterium ist dabei, ob durch die Straftat besonders gewichtige Rechtsgüter betroffen sind. Dies kann, neben den Katalogtaten des § 138 StGB, auch bei anderen schweren Delikten, wie z.B. schweren Körperverletzungen, erheblichen Straftaten gegen die Umwelt, Delikten mit hohem wirtschaftlichem Schaden oder besonderem Unrechtsgehalt angenommen werden.13 So wird ein Polizeibeamter ungeachtet privater Interessen in der Regel zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn er von schwerwiegenden Verstößen gegen das Waffengesetz mit Dauercharakter14, nicht auf einen Einzelfall beschränktem Handel mit harten Drogen oder einer Schutzgelderpressung erfährt.15 Der durch die Abwägungslösung beinhaltete wertende Einzelfallbezug bedingt stets ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit und Unbestimmtheit. Mittels verschiedener Ansätze wird daher in der Literatur versucht, einen stärker fixierten Maßstab für den Schweregrad der außerdienstlich entdeckten Straftaten zu bestimmen, die den Anwendungsbereich des Legalitätsprinzips auch im Privatbereich des Polizeibeamten eröffnen. Das Spektrum der Ansichten ist dabei weit gefächert und soll im Folgenden eine überblicksartige Darstellung erfahren. Nach der Einheitstheorie ist ein Polizeibeamter praktisch immer im Dienst. Die Folge ist, dass eine durchgängige Verfolgungspflicht auf Straftaten jeder Schwere im Sinne einer umfassenden Anzeigenpflicht mit einer strafrechtlichen Sanktionsdrohung im Falle des Unterlassens auch im privaten Bereich angenommen wird.16 Dieser Ansicht entgegentretend geht die Trennungstheorie davon aus, dass das Legalitätsprinzip im privaten Lebensbereich des Polizeibeamten grundsätzlich nicht anzuwenden ist. Unter Verweis auf die allgemeinen Dienst- und Treuepflichten des Polizeibeamten soll jedoch in Fällen besonders schwerer Kriminalität eine Einschreitverpflichtung anzunehmen sein. Näher an der Rechtsprechung positioniert ist die Schwere- oder auch Fortwirkungstheorie. Auch nach dieser Meinung ist eine Abwägung im Einzelfall notwendig, welche sich an der Straftat orientiert, von der der Beamte außerhalb seiner Dienstzeit Kenntnis erlangt. Unterschiede zur Rechtsprechung sind dabei in Bezug auf den Ausgangspunkt der Abwägung, also bezüglich der grundsätzlich in Betracht kommenden Straftatbestände zu erkennen.


Bezugnahmen auf abschließende gesetzliche Straftatenkataloge, wie den strafprozessualen Straftatenkatalog des § 100a StPO oder auf den Deliktskatalog der Nichtanzeige geplanter Straftaten in § 138 StGB, erscheinen inhaltlich durchaus schlüssig und gäben feste Maßstäbe vor. Vollständig zu überzeugen vermögen beide Ansätze jedoch insofern nicht, als dass es stets denkbar erscheint, dass auch „leichtere“ Straftaten außerhalb dieser Kataloge in sehr intensiver Erscheinungsform einen höheren Unrechtsgehalt beinhalten können, als besonders leichte Varianten dieser Katalogtaten. Die Abwägungslösung des BGH und die damit einhergehenden Unsicherheiten scheinen somit im Ergebnis als kaum zu vermeiden.


Festzuhalten ist somit, dass nur in besonders gelagerten Fällen eine Handlungspflicht von Polizeibeamten anzunehmen ist, außerdienstlich erlangtes Wissen für die Einleitung bzw. Weiterführung von Ermittlungsverfahren einzubringen. Die dabei anzustellende Abwägung ist der Versuch, der unverkennbaren Gemengelage aus allgemeinen Dienstpflichten, die sich aus den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums ergeben, der Privatsphäre des betroffenen Beamten, der Strafverfolgungspflicht (Legalitätsprinzip) sowie einer eventuellen moralischen Schweigepflicht (Offenbarung durch Freunde und Verwandte gegenüber dem Beamten) zu einem größtmöglichen Ausgleich zu verhelfen.

 

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