Wissenschaft  und Forschung

Migrantenkriminalität: Zum Stand der Dinge (Teil 2)

Von Prof. Dr. Bijan Nowrousian, Münster¹

 

4.6 Die Ergebnisse der statistischen Daten

Blickt man auf das gesamte statistische Datenmaterial, so zeigt dies trotz seiner Fülle und Details in der Tendenz ein ganz klares Bild:

  • Der Anteil von ausländischen Tatverdächtigen ist durchgängig überproportional hoch und deutlich über deren Anteil an der Gesamtbevölkerung.
  • Die meisten ausländischen Tatverdächtigen kommen dabei freilich aus bestimmten Weltgegenden (Afrika, Naher Osten, Ost- und Südosteuropa), wohingegen Ausländer aus anderen Regionen und Erdteilen nicht durch hohe Kriminalität auffallen.
  • Der insgesamt schon sehr hohe Ausländeranteil an den Tatverdächtigen ist, zumindest der Tendenz nach, umso höher, je gravierender das Delikt ist.
  • Bei den Opfern hingegen finden sich überdurchschnittlich oft hohe Zahlen an deutschen Staatsangehörigen. Diese werden, soweit feststellbar, auch sehr viel häufiger Opfer von ausländischen Tätern als umgekehrt Ausländer Opfer von deutschen Tätern werden.

Zumindest nach den Statistiken ist das Bild also ziemlich klar – und entspricht keineswegs dem, was in Medien, Politik und kriminologischer Forschung oft behauptet wird.

 

5 Relativierende Faktoren

 

5.1 Hellfeld

Das in der dargestellten Weise recht eindeutige statistische Ergebnis wird in der kriminologischen Literatur nämlich ganz grundsätzlicher Kritik unterzogen: Es wird eine Reihe von verzerrenden Effekten diskutiert, die im Ergebnis die Aussagekraft des statistischen Befundes erheblich beeinträchtigen, wenn nicht gar fast aufheben sollen.


Ein Aspekt soll dabei zunächst sein, dass in der Statistik auch Delikte enthalten seien, die nur von Ausländern und nicht von deutschen Staatsbürgern begangen werden können. Freilich wird dabei eingeräumt, dass diese mittlerweile in der Statistik auch gesondert ausgewiesen sind, was die Relevanz dieses Punktes weitgehend aufhebt.29


Moniert wird indes auch, dass unter den tatverdächtigen Ausländern eben auch solche erfasst werden, die in Deutschland keinen gemeldeten festen Wohnsitz haben, also namentlich Touristen und Illegale. Insofern sei eine Korrelation zwischen der Zahl der ausländischen Tatverdächtigen und der Zahl der in Deutschland lebenden (legalen) Ausländer zumindest irreführend und eine Tatverdächtigenbelastungsziffer nicht tragfähig berechenbar.30


Als Problem wird ferner angesehen, dass die Gruppe der „Ausländer“ im Blick auf ihren Aufenthaltsstatus, den Aufenthaltsgrund sowie die Aufenthaltsdauer ein so disparates Bild biete, dass mit der pauschalen Erfassung von „ausländischen Tatverdächtigen“ kriminologisch Relevantes kaum ausgesagt werden könne.31


Ein weiterer verzerrenden Aspekt, der die Ausländerkriminalität in der Statistik einseitig in die Höhe treibe, sei ferner die bei ausländischen Tatverdächtigen höhere Kontrolldichte. Diese solle sich zum einen aus einer verstärkten Überwachung durch die Polizei, etwa in Form des schon genannten „Racial Profiling“ ergeben. Zum anderen würde bei ausländischen Tatverdächtigen eher Anzeige erstattet als bei Tatverdächtigen, die zur „eigenen Gruppe“ gehören.32 Zu bedenken sei in diesem Kontext ferner, dass die an sich herausgerechneten ausländerrechtlichen Verstöße indirekt über eine erhöhte Kontrolldichte die Erfassung von durch Ausländer begangene (sonstige) Straftaten erhöhen könnte. Denn der Feststellung ausländerrechtlicher Verstöße folge im Regelfall eine umfassende Kontrolle nach, in der eine erhöhte Wahrscheinlichkeit bestünde, mit der ausländerrechtlichen Tat inhaltlich gar nicht verbundene Hinweise auf der Allgemeinkriminalität zuzuordnenden Delikte zu finden.33 Zu bedenken sei außerdem, dass Ausländer in denjenigen Gruppen, die ohnehin eine höhere Kriminalitätsbelastung aufwiesen, statistisch überproportional vertreten seien. Ausländer seien in der Tendenz jünger, ärmer, ungebildeter, städtischer und in einem höheren Anteil männlich als die inländische Bevölkerung – und damit durchgängig in sozialen Verhältnissen überrepräsentiert, in denen auch bei Inländern die Kriminalitätsbelastung gegenüber der Allgemeinheit erhöht sei.34 Vor diesem Hintergrund wird in der kriminologischen Forschung, wie eingangs geschildert, die Aussagekraft der Hellfeldstatistiken infrage gestellt.


Hinsichtlich der Problematik, wie unbrauchbar diese Statistiken zur tatsächlichen Darstellung von Migrantenkriminalität sind, scheint aber kein ganz einheitliches Bild zu bestehen. Eisenberg etwa, der zunächst die genannten Argumente in der geschilderten Art vorträgt, erkennt an, dass die statistisch festgestellte Ausländerkriminalität – auch unter Berücksichtigung der Bevölkerungsstruktur von Ausländern – gemessen an ihrem Anteil an der nicht-deutschen Bevölkerung immer noch eine Mehrbelastung darstelle.35 Singelnstein hingegen ist der Ansicht, dass die Hellfeldstatistiken „praktisch keine zur Erklärung des Verhältnisses von Delinquenz und Migration geeigneten Befunde“36 liefern.

5.2 Dunkelfeld

Auch für die Dunkelfeldforschung wird zunächst darauf hingewiesen, dass hier ebenfalls disparate Gruppen verglichen würden mit der Folge, dass die Forschungsergebnisse im Einzelnen zu sehr unterschiedlichen Resultaten führen könnten. Geboten sei also eine differenzierte Betrachtung, die nach verschiedenen Ausländergruppen und nach Delikten unterscheidet.37


Gleichwohl wird der Dunkelfeldforschung beim Thema Migrantenkriminalität im wissenschaftlichen Schrifttum eine höhere Aussagekraft zugestanden als den dort, wie geschildert, für überhaupt nur eingeschränkt brauchbar gehaltenen Statistiken des Hellfeldes. Denn Dunkelfelduntersuchungen erbrächten nicht nur „genauere Einblicke“, sondern würden „statt einer dichotomen Aufteilung in ‚deutsch‘/‚nicht-deutsch‘ oft auch das Merkmal Migrationshintergrund erfassen.“ Während Hellfeldstatistiken also „praktisch keine“ Beiträge zum Erkennen der tatsächlichen Ausmaße von Migrantenkriminalität böten, seien Dunkelfelduntersuchungen durchaus von Relevanz.38


Soweit es Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund betreffe, sei die Delinquenzbelastung grundsätzlich ähnlich. „Delinquenz [sei] in erster Linie ein jugendtypischer Bestandteil des Sozialisationsprozesses und damit ein vorübergehendes Phänomen, das meist ohne Intervention von Polizei und Justiz abbricht. […] All dies gilt für Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund gleichermaßen.“39 Und da, wo es eine höhere Belastung bei Migranten gebe, seien die wesentlichen Aspekte auch im Rahmen der Dunkelfeldforschung ansonsten die Alters- und Sozialstruktur und die sozialen Lebenslagen. Eine weitere Rolle spiele so überhaupt noch eine generelle gesellschaftliche Marginalisierung, namentlich bei Zuwanderern, sowie allgemein Ausgrenzungserfahrungen.40


In der Summe wird mithin die Aussagekraft der auf den ersten Blick recht eindeutigen Hellfeldstatistiken weitgehend bestritten. Eine höhere Kriminalitätsbelastung von Ausländern oder Personen mit Migrationshintergrund wird dabei, zumindest überwiegend, zum Ergebnis statistischer Verzerrungen erklärt (auch wenn es, wie genannt, abweichende Stimmen dazu gibt). Zumindest im Vergleich zu demografisch und bzw. oder sozial gleichen Gruppen existiere eine erhöhte Kriminalitätsbelastung von Migranten in der Regel nicht.41 Ein besonderes Problem mit Migrantenkriminalität sei daher nicht auszumachen.