Wissenschaft  und Forschung

Europa zwischen „ewigem Frieden“ und „Kaltem Krieg“

Von Dr. Udo Baron, Hannover*




Zwar sind noch mehrere strafrechtliche Verfahren gegen Trump anhängig, u.a. wegen seiner Rolle beim Sturm auf den amerikanischen Kongress am 6. Januar 2021. Eine endgültige Entscheidung wird aber letztlich erst das höchste amerikanische Gericht, der Supreme Court, treffen – und das wird höchstwahrscheinlich erst nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen sein. Selbst wenn er in den US-Bundesstaaten Maine und Colorado bei den amerikanischen Vorwahlen der Republikaner tatsächlich nicht hätte antreten dürfen, hätte das seiner Nominierung zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten bei der breiten Zustimmung innerhalb der ganz auf ihn zugeschnittenen republikanischen Partei keinen Abbruch getan. Mehr als realistisch, dass er auch die US-Präsidentschaftswahlen gegen den amtierenden demokratischen US-Präsidenten Joe Biden gewinnen könnte. Im Gegensatz zu den Präsidentschaftswahlen 2016 wird er aber nach einem Wahlsieg 2024 nicht mehr als ein politisches „Greenhorn“ ins Weiße Haus einziehen. Schon seit längerem bereitet er sich professionell auf eine zweite Amtszeit als US-Präsident vor. Unterstützt von einem Stab ihm treuergebener Mitarbeiter ließ er bereits in einem mehr als 800 Seiten starken Papier seine Ziele und die dafür notwendige Vorgehensweise niederschreiben. Auch Personalfragen wurden bereits geklärt, u.a. sollen in allen Ministerien und Behörden umfangreich leitende Mitarbeiter gegen Vasallen Trumps ausgetauscht werden. Gefragt, ob er eine Diktatur in den USA errichten und seine politischen Gegner verfolgen wolle, antwortete Trump in einem Interview mit dem erzkonservativen Nachrichtensender Fox News: „nur am ersten Tag“. Was er an den folgenden Tagen machen möchte, wenn er seine Ziele am ersten Tag nicht vollständig erreichen könnte, ließ er bezeichnenderweise offen.


Ein Comeback von Trump ist mehr als realistisch. Dass es dazu kommen könnte, ist aber nicht nur der Politik Trumps und seiner Partei geschuldet, sondern auch dem Versagen der demokratischen Partei. Sie hat es bis heute nicht geschafft, junge, unverbrauchte und charismatische Persönlichkeiten aufzubauen, die Trump hätten herausfordern können. Nominierte sie 2016 mit Hillary Clinton eine Person des in den USA verhassten Establishment, trat sie 2020 mit einem fast 80-jährigen Kandidaten namens Joe Biden an. Auch vier Jahre später verfügt sie anscheinend nur über den einen Kandidaten, der aufgrund seiner altersbedingten Gebrechen von Trump abwertend als „Sleepy Joe“ verhöhnt wird. Für die Präsidentschaftswahl 2024 fällt den Demokraten abermals niemand anderes als der dann mittlerweile 82 Jahre alte Biden ein.


Was bedeutet diese Entwicklung für Europa? Europa wird auf lange Zeit einer Bedrohung nicht nur durch Russland, sondern vor allem auch durch China ausgesetzt sein. Die Europäer müssen daher schnellstmöglich lernen, außen- und sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen zu stehen. Sie müssen vor allem ökonomische, militärische und politische Abhängigkeiten reduzieren, besser noch überwinden. Die mittlerweile überwundenen Bezüge von russischen Energielieferungen sollten eine Lehre sein, gleiche oder ähnliche Fehler mit Blick insbesondere auf China nicht zu wiederholen. Europa sollte daher nicht erst warten bis ein Krieg um Taiwan ausbricht. Vielmehr sollte es so schnell wie möglich damit beginnen, sich wirtschaftlich von China zu lösen, insbesondere was für die Chipproduktion benötigte Rohstoffe wie seltene Erden und Lithium betrifft.


Zugleich muss Europa einkalkulieren, dass die bisherige Schutzmacht USA mit Trump künftig kein verlässlicher Partner mehr ist. Schon während seiner ersten Amtszeit hatte er angekündigt, dass sich die USA aus internationalen Konflikten verstärkt zurückziehen wollen. Generell haben bereits die US-Präsidenten seit Bill Clinton damit begonnen, sich schwerpunktmäßig auf den pazifischen Raum und die Auseinandersetzung mit China zu konzentrieren. Europa muss sich daher darauf einstellen, dass es die Kosten des Ukrainekrieges höchstwahrscheinlich ab 2025 alleine tragen muss. Zudem hat Trump immer wieder mit einem Rückzug aus der NATO gedroht, sollten die westlichen Verbündeten ihre Rüstungsetats nicht auf zwei Prozent ihres Bruttoinlandprodukts steigern. Um die westliche Allianz zu schwächen, muss Trump nicht einmal formal aus der NATO austreten. Allein die Ankündigung, Amerika werde seinen Verpflichtungen gegenüber der NATO nicht mehr umfänglich nachkommen, würde das westliche Verteidigungsbündnis zum Papiertiger machen und könnte dessen (langfristiges) Ende zur Folge haben.


Europa kann dieser Entwicklung nur etwas entgegensetzen, wenn es endlich anfängt mit einer Stimme zu sprechen. Es muss zu einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik fähig werden und sich zu einem geopolitischen Machtblock zwischen China und den USA entwickeln. Nur so kann Europa seine Werte gegenüber Russland und China auf der einen und möglicherweise auch gegenüber den USA auf der anderen Seite dauerhaft verteidigen, nur so lassen sich Synergieeffekte bei der Entwicklung moderner Waffensysteme erzielen und die Produktionskosten für die europäische Rüstungsindustrie reduzieren. Europa muss lernen, auch ohne amerikanische Hilfe die Probleme vor seiner Haustür eigenständig zu lösen. Perspektivisch wäre es zudem sinnvoll, einen möglicherweise wegfallenden amerikanischen atomaren Schutzschirm durch die europäischen Atommächte Frankreich und Großbritannien zu ersetzen.


Die Weltordnung des ersten „Kalten Kriegs“ ist vergangen. Nach einer kurzen Zeit des gefühlten „ewigen Friedens“ hat der zweite „Kalte Krieg“ Einzug gehalten. Die damit einhergehenden geopolitischen Veränderungen stellen Europa und die westliche Welt weitgehend unvorbereitet vor ungeahnte Herausforderungen. Um nicht langfristig von den neuen Bedrohungen zerrieben zu werden, muss sich Europa wieder seiner Werte und Stärken bewusstwerden und den Mut entwickeln, auch unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Auf eine solche Entwicklung ließe sich dann langfristig auch eine auf Freiheit, Frieden und Wohlstand basierende neue Weltordnung aufbauen.

 

 

Anmerkungen


* Dr. Udo Baron ist seit 2008 als Referent für den Bereich Linksextremismus und seit 2021 auch für den Bereich Extremismus mit Auslandsbezug im Niedersächsischen Verfassungsschutz zuständig.

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