§ 129 StGB – Stumpfes Schwert oder Wunderwaffe der OK-Bekämpfung?

Von PD Helgo Martens, Hamburg¹



Die besondere Bedeutung des interessenbezogenen Elements ergibt sich aus dem Umstand, dass der BGH hierin bereits auf Grundlage der alten Normfassung das entscheidende Kriterium zur Abgrenzung von Bande und Vereinigung erkannt hat. An dieser Notwendigkeit hält der BGH weiterhin fest und versteht nunmehr das Definitionsmerkmal des übergeordneten gemeinsamen Interesses als gesetzliche Normierung des interessenbezogenen Elements.25 Aus dem Wortlaut der Legaldefinition leitet der 3. Strafsenat aber gleichwohl die Konsequenz ab, das interessenbezogene Element weniger streng aufzufassen. Daher verlange ein Tätigwerden im übergeordneten Interesse nicht mehr, dass die Mitglieder einer kriminellen Vereinigung sich einem einheitlichen Verbandswillen unterordnen.26 Dennoch setzt die Tathandlung die einvernehmliche Eingliederung des Täters in die Vereinigungsstrukturen voraus.27 Nach der bereits ständigen Rechtsprechung des BGH zur Neufassung des § 129 StGB rechtfertigt das bloße Ziel einer Gruppierung, Straftaten zur Erzielung materieller Gewinne zu begehen, nicht die Annahme eines übergeordneten gemeinsamen Interesses.28 In diesem Fall müsse vielmehr regelmäßig von der parallelen Verfolgung von Einzelinteressen ausgegangen werden.29 Der BGH stützt seine Auslegung zunächst auf den Wortlaut der Legaldefinition, da sich aus dem Begriff „übergeordnet“ die Notwendigkeit eines vorrangigen Ziels ergebe, dem die Vereinigungsmitglieder ihre eigenen Interessen unterordnen.30 Darüber verweist der BGH auf systemische Wertungswidersprüche, die zu befürchten wären, wenn bereits übereinstimmende Einzelziele ein ausreichendes Vereinigungsinteresse darstellen würden. In der Konsequenz müsste nahezu jede Bandenstraftat zugleich als kriminelle Vereinigung verfolgt werden.31 Auf diese Weise würde der Zusammenschluss von mindestens drei Personen zur künftigen Begehung von Straftaten nicht lediglich über das Bandenmerkmal strafschärfende Relevanz entfalten, sondern bereits ohne die Verwirklichung eines Grundtatbestands strafbegründend wirken.32 Der 3. Strafsenat sieht seine Auslegung zudem durch den Gesetzeszweck des § 129 StGB bestätigt. Hiernach soll die besondere Gefährlichkeit der vereinigungsspezifischen Dynamik mit Kriminalstrafe bedroht werden. Diese Schwelle werde aber durch bloß auf die Wiederholung angelegte Bandenstraftaten nicht überschritten.33 Im Übrigen verweist der BGH darauf, bei der Prüfung des übergeordneten gemeinsamen Interesses die äußeren Tatumstände einer Gesamtwürdigung zu unterziehen und hierbei ein besonderes Augenmerk auf den Organisationsgrad zu legen.34

4.2 Leitentscheidungen für die OK-Bekämpfung

Prima facie deuten die – in weiten Teilen als obiter dicta – abgefassten Erläuterungen des BGH zur Auslegung des strafrechtlichen Vereinigungsbegriffs nach Maßgabe des § 129 Abs. 2 StGB n.F. nicht unbedingt auf eine Transformation der Strafvorschrift in ein typisches OK-Delikt hin. Dies gilt umso mehr, als dass nach Auffassung des 3. Strafsenats das gemeinsame Gewinnstreben einer Tätergruppierung als geradezu traditionell dominierendes Motiv der OK noch nicht deren Einstufung als kriminelle Vereinigung rechtfertigt. Zudem hat die höchstrichterliche Rechtsprechung zwar Leitplanken für die Auslegung des für den Vereinigungsbegriff konstitutiven Merkmals des übergeordneten gemeinsamen Interesses aufgestellt, aber auf eine tiefergehende Definition verzichtet. Der Rechtsanwender wird daher vor die Herausforderung gestellt, ein einzelfallbezogenes Anwendungsverständnis über die Reichweite des Vereinigungsbegriffs in den Phänomenbereichen der OK zu entwickeln. Hierfür lassen sich den o.a. Entscheidungen des BGH wichtige Hinweise entnehmen, die bei näherer Betrachtung eine wesentliche höhere Praktikabilität des § 129 StGB für die OK-Strafverfolgung begründen, als der erste Eindruck vermuten lässt.


So stufte der BGH ein Netzwerk von Hawaldaren als kriminelle Vereinigung ein.35 Das Geschäftsmodell der Organisation basierte diesbezüglich auf dem Angebot, gegen eine Gebühr ohne die erforderliche Genehmigung der zuständigen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) Geldbeträge aus Deutschland in die Türkei zu transferieren. Zu diesem Zweck konnte die Tätergruppierung auf Mittelsmänner im gesamten Bundesgebiet zurückgreifen, bei denen Kunden Einzahlungen vornehmen konnten. Die Abholung der Gelder und deren anschließende Zusammenführung in einem Topf oblag dann sog. „Einsammlern“, welche unter Einbindung von Buchhaltern die Weiterleitung der Barmittel an ein zentrales Büro in Istanbul veranlassten. In seinem Urteil hält der BGH fest, dass der Wille des einzelnen Mitglieds einen Anteil der Hawala-Gebühren zu erlangen, dem übergeordneten gemeinsamen Interesse noch nicht genügt. Indes verband alle Angehörigen des Netzwerks das vorrangige Ziel am Fortbestand des eingerichteten und funktionierenden grenzüberschreitenden Hawala-Netzwerks. Als wesentlichen Bestandteil dieses Konzept ordnete das Gericht die beabsichtigte Schaffung eines Schattenfinanzwesens ein, die sich nicht zuletzt durch die Annahme von Barbeträgen in Höhe von acht Millionen Euro durch lediglich einen Täter belegen lässt. Weiterhin indizierten regionale Ortsgruppen und unterschiedliche Hierarchieebenen, dass die Existenz nicht von dem Willen einzelner Mitglieder abhing.


In einem weiteren Urteil schließt der 3. Strafsenat nicht aus, dass eine Tätergruppierung, deren Angehörige sich per Anruf aus der Türkei gegenüber in Deutschland lebenden älteren Opfern als Polizeibeamte ausgegeben und mit dem Hinweis auf eine akute Gefahrenlage zur Herausgabe von Vermögenswerten an vor Ort agierende Abholer veranlasst haben, als kriminelle Vereinigung qualifiziert werden könnte.36 Zwar reicht für diese Annahme die durch das Tatgericht festgestellte Anmietung von Büroräumen und technischer Ausstattung noch nicht aus. Indizien für ein übergeordnetes gemeinsames Interesse könnten sich aber z.B. aus einer Gemeinschaftskasse, Regelungen zur Willensbildung sowie der Anzahl der Mitglieder ergeben.


Als „leading case“ für die Anwendung des § 129 StGB auf kriminell motivierte Personenzusammenschlüsse außerhalb der PMK kann das BGH-Urteil im „Cyber-Bunker“-Fall37 angesehen werden. Der Entscheidung lag der Betrieb eines sog. „Bulletproof“-Hosters zugrunde. Hierunter fällt die Vermietung von Serverkapazitäten, die mit dem Versprechen verbunden wird, keine Kundendaten an Behörden oder dritte Personen herauszugeben. Derartige Hosting-Dienste legen damit eine wesentliche Grundlage für die Begehung von Straftaten unter Nutzung des Darknets. Der Drahtzieher und Kopf der Gruppierung bot eine solche Dienstleistung zunächst aus einem von ihm erworbenen ehemaligen Nato-Bunker in den Niederlanden an. Aufgrund eines Brandes in dieser Anlage und des steigenden Ermittlungsdrucks nach der dortigen Entdeckung eines Rauschgiftlabors entschied sich der niederländische Staatsangehörige im Jahr 2013 zum Kauf einer ebenfalls früher militärisch genutzten Bunkeranlage in Traben-Trarbach/Rheinland-Pfalz, die über fünf unterirdische Geschosse mit ca. 300 Räumen verfügte. In der zeitlichen Folge verlegte er die von ihm genutzten Server und weitere Technik in dieses Objekt. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, seinem ältesten Sohn und weiteren Tätern warb er im Internet ausdrücklich mit der „stay online policy, no matter what“, womit die Zusage verbunden war, zahlende Kunden unter allen Umständen online zu halten und deren IP-Adressen zu verschleiern. Von diesem Versprechen sollten nur Aktivitäten der Kunden mit terroristischen oder kinderpornographischen Inhalten ausgenommen werden. In der Konsequenz mieteten vor allen Dingen die Betreiber von illegalen Internetplattformen Serverkapazitäten im „Cyber-Bunker“, um dort Marktplätze zum Handel mit Rauschgift und anderen inkriminierten Waren zu unterhalten. Regelmäßige Anfragen von Ermittlungsbehörden aufgrund des Online-Vertriebs von Rauschgift über die Server des „Cyber-Bunkers“ beantwortete die Gruppierung nicht oder erst mit absichtlicher Verspätung. Nach den Feststellungen des Tatgerichts erlangten die Betreiber der Rechenanlage auf diese Weise zumindest teilweise Kenntnis über die durch ihr Angebot erst ermöglichten Straftaten, ohne diese zu unterbinden. In der Regel standen sie den Internetstraftaten ihrer Kunden gleichgültig gegenüber und nahmen diese daher billigend in Kauf. Die Mehrheit der mindestens acht Mitglieder der Tätergruppierung verlegte zudem ihren Wohnsitz in den Bunker. Die Betrachtung der internen Betriebsabläufe ließ zudem auch unterhalb des Eigentümers und Chef des „Cyber-Bunkers“ eine detaillierte Rollenverteilung und mehrere Hierarchiestufen erkennen, die sich von der Managementebene über IT-Experten bis zu kostenlos arbeitenden Praktikanten erstreckten.


In seinem Urteil teilt der BGH die Einschätzung des Tatgerichts, die Tätergruppe als kriminelle Vereinigung zu werten. Maßgeblich hierfür sei die Feststellung, dass die Beteiligten sich zum dauerhaften Betrieb des unterirdischen Rechenzentrums zusammengefunden hätten bzw. der Vereinigung beigetreten wären. Hierin erkennt der 3. Strafsenat ein eigenständiges und übergeordnetes Ziel, das über die individuelle Gewinnabschöpfung hinausreiche. Des Weiteren war der Organisation eine funktionale Rollenverteilung zu entnehmen, die unter Berücksichtigung der großen Mitgliederzahl sicherstellte, dass der Fortbestand der Vereinigung nicht von einzelnen Personen abhing. Der Betrieb des Bunkers war darüber hinaus von dem gemeinsamen und ideologisch getragenen Ziel geprägt, den Kunden für ihre Aktivitäten die Nutzung des Internets ohne staatliche Kontrolle zu ermöglichen. Nicht zuletzt sollten die hierbei generierten Einnahmen teilweise dazu verwendet werden, weitere technische Verschlüsselungsprojekte im Bereich der Mobilfunkkommunikation weiterzuentwickeln. Insgesamt sei daher vom Vorliegen des interessenbezogenen Elements auszugehen.


Der BGH hält es weiterhin für ausreichend, dass der Organisationszweck sich auf die Förderung von Internetstraftaten durch die zahlenden Kunden fokussierte. Bei den vereinigungsbezogenen Straftaten handelte es sich folglich um Beihilfedelikte. Sofern die Kunden ihre angemieteten Speicherplätze ihrerseits dazu nutzten, dritten Personen illegale Marktforen für Rauschgift anzubieten, war hierin ebenfalls eine Beihilfe zu den inkriminierten Geschäften zu erkennen. In dieser für den „Cyber-Bunker“ geradezu typischen Fallkonstellation war demgemäß von einer Beihilfe zur Beihilfe auszugehen.38 Nach den Entscheidungsgründen kann der Zweck einer kriminellen Vereinigung aber durchaus darauf ausgerichtet sein, durch Beihilfedelikte ihrer Mitglieder die Haupttaten organisationsfremder Personen zu unterstützen. In diesem Fall müssen die Mitglieder aber die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen der Beihilfe verwirklichen.39 Insofern würde die vage Kenntnis über die durch die Kunden verübten Taten nicht ausreichen. Zum Geschäftskonzept des „Cyber-Bunkers“ gehörte aber gerade der Schutz der Kunden vor Strafverfolgung. Auf Grundlage der Tatsachenfeststellungen hatte zumindest die Führungsebene der Vereinigung Kenntnis über absatzorientierte Betäubungsmitteldelikte, die im relevanten Grundstrafrahmen mit einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe bedroht sind. Der BGH stellt zudem klar, dass es nicht darauf ankommt, dass jedes Mitglied an der unmittelbaren Ausführung der vereinigungsbezogenen Straftaten beteiligt ist. Folglich muss der Vorsatz nur das Bewusstsein der Begehung von Straftaten als wesentlichen Vereinigungszweck umfassen. Im weiteren Verlauf der Urteilsbegründung spricht der Senat der Vermietung von Serverplätzen nach dem Modell des „Cyber-Bunkers“ die Qualität einer berufstypischen neutralen Handlung ab, die nur dann der Beihilfestrafbarkeit unterliegt, wenn der Unterstützer sicheres Wissen über die von ihm geförderte Straftat hat, oder zumindest das hohe Risiko der Tatausführung durch einen erkennbar tatgeneigten Haupttäter erkennt. Demgegenüber verfolgen die Dienste eines „Bulletproof-Hosters“ von vornherein den Zweck, eine kriminelle Infrastruktur aufzubauen und scheiden daher als neutrale Handlung aus.40