§ 129 StGB – Stumpfes Schwert oder Wunderwaffe der OK-Bekämpfung?

Von PD Helgo Martens, Hamburg¹

 

3 Tatbestandssystematik des § 129 StGB


Der Grundtatbestand des § 129 Abs. 1 Satz 1 StGB erfasst die Tathandlungen der Gründung sowie der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer Vereinigung, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit einer mindestens zweijährigen Freiheitsstrafe bedroht sind. Die aufgeführten Tathandlungen verleihen dem Grundtatbestand den Charakter eines Organisationsdelikts.12 Für den Tatnachweis sind daher Handlungen erforderlich, die einen unmittelbaren Organisationsbezug aufweisen.


Darüber hinaus beinhaltet Abs. 1 Satz 1 einen Teil der Legaldefinition der kriminellen Vereinigung. Während Abs. 2 mit dem Begriff der Vereinigung die scheinlegalen und äußerlich neutralen Strukturmerkmale umschreibt, konkretisiert Abs. 1 Satz 1 die inkriminierten Vereinigungsziele und legt insoweit die Strafbarkeitsgrenze fest.


Mit der Regelung des Abs. 1 Satz 2 wird auch die Unterstützung oder Werbung für eine kriminelle Vereinigung einem gegenüber dem Grundtatbestand abgesenkten Strafrahmen unterworfen. Hierbei handelt sich um eine tatbestandlich verselbstständigte Form der Beihilfe, die im Ergebnis eine erhebliche Ausweitung der Strafbarkeit begründet. Insbesondere kann diese Tatbestandsvariante durch eine einmalige Unterstützungshandlung eines Nichtmitglieds verwirklicht werden. Abs. 3 entzieht bestimmte Vereinigungsformen dem Anwendungsbereich des Tatbestands. Hierzu zählen noch nicht für verfassungswidrig erklärte Parteien, Vereinigungen, bei denen die Begehung von Straftaten nur von untergeordneter Bedeutung ist, sowie Gruppierungen, die auf die Begehung von Straftaten nach den §§ 84 ff. StGB gerichtet sind. Auf diese Weise korrigiert der Gesetzgeber die Weite des Tatbestands, um Wertungswidersprüche innerhalb der Strafrechtsordnung zu vermeiden. Die in Abs. 4 normierte Versuchsstrafbarkeit beschränkt sich auf die Tathandlungen des Abs. 1 Satz 1. Gleichwohl führt diese Regelung zu einer nochmaligen Vorverlagerung der Strafbarkeitsgrenze, da bereits das unmittelbare Ansetzen zur Gründung oder zum Eintritt in eine kriminelle Vereinigung als strafbarer Versuch zu werten ist. Abs. 5 der Vorschrift legt Strafrahmenverschärfungen fest. Satz 1 und Satz 2 des Abs. 5 heben hierbei als Strafzumessungsregel den Mindeststrafrahmen für besonders schwere Fälle auf sechs Monate Freiheitsstrafe an. Als Regelbespiel führt Abs. 5 Satz 2 die Tätigkeit als Rädelsführer oder Hintermann der kriminellen Vereinigung auf. Dagegen handelt es sich bei Abs. 5 Satz 3 um eine Qualifikation, die eine angehobene Höchststrafe von zehn Jahren vorsieht, sofern der Zweck der Vereinigung auf die Begehung von den in der Vorschrift genannten Straftaten aus dem Katalog des § 100b Abs. 2 StPO gerichtet ist. Mit der Aufnahme des Qualifikationstatbestands reagierte der Gesetzgeber auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben zur akustischen Wohnraumüberwachung. Da nach seinem Willen diese Ermittlungsmaßnahme auch bei dem Verdacht von Straftaten nach § 129 StGB eröffnet sein sollte, war neben dessen Erfassung als Katalogstraftat gem. § 100b Abs. 2 StPO zusätzlich die Strafrahmenerhöhung für besonders strafwürdige Fallkonstellationen notwendig. Die Normierung des Qualifikationstatbestands war diesbezüglich ausdrücklich von dem gesetzgeberischen Ziel getragen, die Bekämpfung der OK zu verbessern.13


Die Abs. 6 und 7 beinhalten schließlich fakultative Regelungen zum Absehen von Strafe bzw. zur Strafrahmenmilderung. Besondere Relevanz entfaltet im Zusammenhang mit der OK-Bekämpfung insbesondere die „kleine Kronzeugenregelung“14 des Abs. 7 Nr. 2, nach welcher der Täter durch die freiwillige und rechtzeitige Offenbarung seines Wissens über geplante Straftaten der Vereinigung im für ihn günstigsten Fall Straffreiheit erlangen kann.

 

4 Die BGH-Rechtsprechung zu § 129 Abs. 2 StGB n.F.

 

4.1 Modifizierter Vereinigungsbegriff

Der 3. Senat des BGH hat mittlerweile in mehreren Urteilen bzw. Beschlüssen zu den Auswirkungen der Neufassung des § 129 Abs. 2 StGB auf den strafrechtlichen Vereinigungsbegriff ausführlich Stellung bezogen. Im Zusammenhang mit der OK kommt insbesondere den Entscheidungen des Gerichts zur Anwendung des Tatbestands auf einen Call-Center-Ring15, ein Hawala-Netzwerk16 sowie auf den gemeinschaftlichen Betrieb eines sog. Cyber-Bunkers17 als Host für kriminelle Internetangebote eine wichtige Bedeutung zu. Seinen Ausführungen zur Auslegung des § 129 Abs. 2 StGB hat der BGH mehrfach den Hinweis vorangestellt, dass bereits vor der Gesetzesänderung durch das 54. StRÄndG bestimmte OK-Gruppierungen als kriminelle Vereinigung einzustufen waren.18 Aus der Implementierung der Legaldefinition leitet der Senat im Ergebnis eine durch den Gesetzgeber beabsichtigte Ausweitung des Vereinigungsbegriffs ab, betont aber gleichwohl an den bisher entwickelten Strukturmerkmalen einer kriminellen Vereinigung festzuhalten.19 Dementsprechend setzt deren Annahme die Prüfung eines organisatorischen, eines personellen, eines zeitlichen sowie eines interessenbezogenen Elements voraus.20 Im Vergleich zum früheren Begriffsverständnis begründe die nunmehr geltende Legaldefinition nach Auffassung des BGH aber eine Absenkung der Anforderungen an den Organisationsgrad und an den Willensbildungsprozess einer kriminellen Vereinigung.21 Hinsichtlich des organisatorischen Elements sei hieraus der Schluss zu ziehen, dass eine voluntativ von allen Mitgliedern getragene Gruppenidentität nicht mehr erforderlich ist.22 Als Vereinigung i.S.d. § 129 Abs. 2 StGB können daher auch Personenzusammenschlüsse qualifiziert werden, deren Arbeits- und Funktionsweise auf der hierarchischen Durchsetzung eines Anführerwillens basiert.23 Notwendig bleibt aber der Nachweis von Organisationsstrukturen, die der Vereinigung die Koordinierung und Vorausplanung der eigenen Aktivitäten ermöglichen.24