Koalitionsvertrag 2023-2026 für Berlin sieht die Ausweitung hoheitlicher Befugnisse vor
Von Prof. Michael Knape und Prof. a.D. Hartmut Brenneisen, Berlin/Preetz
Der VerfGH des Landes Berlin hat durch Urteil vom 16.11.2022 festgestellt, dass die Wahl zum 19. Abgeordnetenhaus von Berlin vom 26.9.2021 wegen schwerer Mängel zu wiederholen ist.1 Am 12.2.2023 fand daraufhin die Wiederholungswahl statt, aus der die CDU deutlich gestärkt hervorging. Nach intensiven Verhandlungen einigten sich CDU und SPD auf eine Regierungskoalition, die das bestehende Bündnis aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke ablöste. Der unter dem Titel „Für Berlin das Beste“ stehende Koalitionsvertrag für die Legislatur 2023-2026 widmet sich auf den Seiten 27 bis 33 dem Thema „Inneres, Sicherheit und Ordnung“ und macht insoweit deutlich, dass die „Innere Sicherheit“ für beide Parteien von zentraler Bedeutung ist. Die „volle Bandbreite“ des Dreiklangs „Prävention – Intervention – Repression“ soll nunmehr genutzt werden. Nachfolgend werden wichtige und im Koalitionsvertrag ausdrücklich aufgeführte Novellierungsansätze des allgemeinen und besonderen Gefahrenabwehrrechts sowie des Vollzugsrechts skizziert.2
1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz für Berlin – ASOG Bln
Die Nutzung von Bodycams soll „unverzüglich, dauerhaft und flächendeckend“ für Polizei, Feuerwehr und Ordnungsämter ermöglicht, auf privaten Wohnraum ausgedehnt und wissenschaftlich evaluiert werden. Der Einsatz von körpernah getragenen oder in einem Fahrzeug der Polizei eingesetzten technischen Mitteln zur Erhebung personenbezogener Daten ist aktuell in § 24c Abs. 1 ASOG Bln3 insoweit geregelt, als diese bei präventiven und repressiven Maßnahmen nur im öffentlich zugänglichen Raum von der Polizei zum Schutz ihrer Einsatzkräfte oder Dritter offen erfolgen kann. Die Maßnahme muss gegen eine Gefahr für Leib oder Leben erforderlich sein. Die wesentlichen Regelungen gelten gem. § 24c Abs. 6 ASOG Bln für Einsatzkräfte der Feuerwehr und des Rettungsdienstes bei Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend.4 Insbesondere die nunmehr vorgesehene Erweiterung auf besonders geschützte Wohnungen ist aus fachpraktischen Gesichtspunkten zu begrüßen, soweit ein schlüssiges Stufenverhältnis die verfassungsrechtlichen Grundbedingungen abbildet.5 Überzeugend ist auch die vorgesehene Evaluierung, die ohnehin zum Standard bei der Verabschiedung neuer Eingriffsbefugnisse gehören sollte.6
Die Koalition beabsichtigt weiter, ergänzende Rechtsnormen mit dem Ziel zu prüfen, die Quellen-TKÜ und Online-Durchsuchungen zur Bekämpfung terroristischer sowie sonstiger schwerster Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität auf der Basis richterlicher Anordnungen einsetzen zu können. Dabei handelt es sich zweifellos um einen erwägenswerten Schritt, um die kriminellen sowie die öffentliche Sicherheit erheblich gefährdenden Aktivitäten dieser Klientel wirksam und nachhaltig zu unterbinden bzw. zu verhindern.
Verhaltensbezogene Kontrollen sollen aufgrund kriminalistischer oder polizeilicher Erfahrungswerte und unter Beachtung verfassungsrechtlicher Diskriminierungsverbote (Racial- bzw. Ethnic-Profiling) zulässig bleiben.7
Die Regierungskoalition will ferner die rechtlichen Voraussetzungen eines bis zu fünftägigen Präventivgewahrsams schaffen.8 Auch diese Zielstellung überzeugt, zumal die bestehende Regelung des § 33 Abs. 1 ASOG Bln deutlich hinter den gesetzlichen Rahmenbedingungen anderer Länder zurückbleibt. Zurzeit bildet das Ende des Tages nach dem Ergreifen die äußerste Grenze, soweit nicht vorher die Fortsetzung der freiheitsentziehenden Maßnahme aufgrund eines anderen Gesetzes angeordnet wurde.9
2 Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Landes Berlin – UZwG Bln
Die Einsatzverfügbarkeit von Distanzelektroimpulsgeräten („Taser“) soll zur Vermeidung des Schusswaffengebrauchs und zur Verhinderung von akuten Suiziden ausgeweitet werden. Es ist vorgesehen, hierfür die erforderlichen Rechtsgrundlagen zu schaffen und gleichzeitig die Evaluierung fortzusetzen. Dies ist ein schlüssiger Schritt, soweit denn „Taser“ als Waffe und nicht etwa nur als Hilfsmittel der körperlichen Gewalt in den Begriffsbestimmungen des § 2 Abs. 4 UZwG Bln ihren Niederschlag finden.10 Darüber hinaus müssen im Sinne des Bestimmtheitsgrundsatzes und der verfassungsrechtlichen Wesentlichkeitstheorie die Voraussetzungen für ihren Gebrauch normenklar geregelt werden.11 Allgemeine Hinweise auf das verfassungsrechtliche Übermaßverbot reichen nicht aus.
Zudem strebt die Koalition an, den finalen Rettungsschuss als Ultima Ratio-Lösung ermächtigungsbegrenzend zu regeln. Auch dieses Vorhaben kann nur auf Zustimmung stoßen, ist doch das Land Berlin inzwischen das einzige von sechzehn Ländern der Bundesrepublik Deutschland, in dem diese Rechtsfigur noch nicht rechtssicher normiert ist.12 Politiker aller Parteien des Abgeordnetenhauses von Berlin haben jahrzehntelang mit teilweise abwegiger Argumentation die Einführung einer solchen Regelung blockiert. Sie verwiesen fälschlicherweise auf die aus ihrer Sicht ausreichende Notwehr- bzw. Nothilferegelung des § 32 StGB.13
3 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin – VersFG BE
Schließlich soll auch das erst am 28.2.2021 in Kraft getretene VersFG BE bis Mitte 2024 überprüft werden. Unabhängig vom Ergebnis dieser Evaluation ist aber wohl die Aufnahme der „öffentlichen Ordnung“ in dem Grundrechtsgewährleistungsgesetz14 geplant. Zudem bekennt sich die Koalition „ausdrücklich zum Schutz der Pressefreiheit […] von Journalistinnen und Journalisten“. Insbesondere die Bedeutung der öffentlichen Ordnung ist im Schutzbereich der Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 GG stark umstritten.15 Insofern erscheint es fragwürdig und allein als symbolischer Akt, die Wiedereinführung dieses Rechtsgutes im Vorgriff auf zu erwartende Evaluationsergebnisse zu betreiben.
Anmerkungen
- VerfGH Berlin v. 16.11.2022, Az. 154/21-juris.
- Vgl. dazu auch den inzwischen vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes und weiterer Rechtsvorschriften v. 11.10.2023, Drs. AGH BE 19/1232. Die 1. Lesung erfolgte am 19.10.2023, PlPr AGH BE 19/37, S. 3282.
- Die Vorschrift ist am 2.4.2021 eingefügt worden; siehe dazu Drs. BE 18/2787, S. 28 und Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, 2022, Polizei- und Ordnungsrecht, 3. Auflage, § 24c, Rn. 1.
- Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 24c, Rn. 3.
- Vgl. Drs. SH 20/988 und dazu Umdr. SH 20/1856 (Brenneisen) und 20/2016 (GdP); siehe auch Graulich, in: Bäcker/Denninger/Graulich, 2021, Handbuch des Polizeirechts, 7. Auflage, Teil E, Rn. 396.
- So bereits Brenneisen, DuD 2004, S. 711.
- Zu „verfassungsimmanenten Schranken nach Art. 3 Abs. 3 GG“ vgl. in diesem Kontext Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 21, Rn. 8.
- Drs. AGH BE 19/1232: Nach Art. 1 Nr. 7 des Gesetzentwurfs ist im Fall einer bevorstehenden terroristischen Straftat eine höchstzulässige Dauer der Freiheitsentziehung von sieben Tagen, in den anderen genannten Fällen von fünf Tagen vorgesehen.
- Vgl. Söllner, in: Pewestorf/Söllner/Tölle, a.a.O., § 33, Rn. 3; siehe zur Höchstdauer des Präventivgewahrsams umfassend Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, 2020, Versammlungsrecht, 5. Auflage, S. 549.
- Vgl. dazu ausführlich Knape, Die Polizei 2015, S. 135; ders., Die Polizei 2017, S. 204; ders., Die Kriminalpolizei 2/2023, 13; ders., Die Kriminalpolizei 3/2023, S. 18.
- Siehe dazu Brenneisen/Staack/Wilksen/Martins, in: Brenneisen et al., 2023, Methodik, 3. Auflage, S. 167.
- Vgl. dazu ausführlich Knape/Schönrock, 2016, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht für Berlin, § 9 Abs. 4 UZwG Bln, Rn. 11; Knape, Die Polizei 2016, S. 93; ders., Die Kriminalpolizei 1/2019, S. 27 (Teil 1) und 2/2019, S. 16 (Teil 2); ders., Die Kriminalpolizei 1/2022, S. 22.
- Knape, Die Kriminalpolizei 1/2022, S. 22.
- Drs. AGH BE 18/2764, S. 23; vgl. dazu Knape/Brenneisen, 2021, Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin, § 3, Rn. 6.
- Vgl. dazu Knape/Brenneisen, a.a.O., § 14, Rn. 13; Brenneisen/Wilksen/Staack/Martins, a.a.O., S. 376.
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