Editorial
Liebe Leserinnen, lieber Leser,
die Flüchtlingsströme haben sich in den vergangenen Wochen deutlich reduziert, eine ganze Reihe von Problemen sind hingegen geblieben. Nicht nur die Integration von über zwei Millionen Menschen, die nach Deutschland gekommen sind, stellt eine immense Herausforderung dar. Auch auf europäischer Ebene bedarf es einer Konsolidierung der eingeleiteten Maßnahmen zur Steuerung der künftigen Migration. Die Politik hat kürzlich erneut die Frage nach dem Einsatz der Bundeswehr im Innern thematisiert. Die Debatte erstreckt sich insbesondere auf die Übernahme polizeilicher Aufgaben auf nationaler Ebene, aber auch auf die Bekämpfung von Schleuserorganisationen durch Bundeswehreinheiten im Mittelmeer. Hier knüpft Bernd Walter, Präsident eines Grenzschutzpräsidiums a.D., mit seinem Beitrag „Soldaten auf Schleuserjagd- Anmerkungen zu einem Irrweg deutscher Sicherheitspolitik“ an. Er stellt eine Zuweisung von kriminalpolizeilichen Aufgaben an das Militär und überdies außerhalb von Krisenregionen fest. Nach seiner Auffassung stellt sich nicht nur die Frage nach der Glaubwürdigkeit der innerstaatlichen Trennungsdebatte, sondern auch nach der Sinnhaftigkeit des Unternehmens. Bereits bei der Bekämpfung der Seeräuberei am Horn von Afrika nahm die Bundeswehr strafverfolgende Maßnahmen vor, die eigentlich der Bundespolizei oblagen, hat Walter beobachtet. An sich wäre die Unterbindung der irregulären Migration auf dem Seeweg Aufgabe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex gewesen. Es stellt sich für ihn die Frage, wie durch den Einsatz deutscher Militärschiffe und mit Militärpersonal ohne die spezielle kriminalpolizeiliche Expertise für Schleuserkriminalität Erkenntnisse gewonnen werden können. Er plädiert für den baldmöglichen Einsatz deutscher Ermittlungsspezialisten. Zusammenfassend stellt Walter fest, dass die vorgesehene Operation eher symbolischen Charakter hat und über kurz oder lang zur bloßen Drohgebärde verkommt, deren geringer sicherheitspolitischer Mehrwert die Schleuserorganisationen in ihrem Tun noch bestärken wird. Allerdings zeigt die aktuelle Entwicklung, dass das Einsehen von evidenten Fehlern nicht zu den Stärken der relevanten Entscheidungsträger zählt. Im Gegenteil: Man hat die Bekämpfung der irregulären Migration zusätzlich militarisiert.
An diesem Beispiel zeigt die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene erneut eklatante Defizite im Bereich der Inneren Sicherheit. Die Zusammenarbeit der EU wurde 2009 mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon in die beiden Säulen der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen weiter entwickelt. Gleichwohl sind trotz einer Reihe von Maßnahmen und Rahmenbeschlüssen, also auch nach der Bildung supranationaler Organisationen wie Europol, Eurojust oder Frontex, wesentliche Entwicklungsschritte ausgeblieben. Die nationalstaatlich ausgelegten Polizei- und Justizsysteme wurden nur behutsam angeglichen. Dabei ist der Handlungsbedarf angesichts der aktuellen Entwicklungen überdeutlich. Das Zauberwort heißt weiterhin „Kompatibilität“, wie uns die polizeiliche Zusammenarbeit in einem föderalen System in Deutschland gelehrt hat. Ausgewählte Tatbestände, die taktische Sprache, der Informationsaustausch oder die Struktur bestimmter Organisationen müssen einem gemeinsamen Standard folgen, um die angestrebte Wirkung gegen Drogenhändler, Terroristen oder Schleuser zu erreichen. Aber von diesem Ziel sind wir noch weit entfernt, während sich die kriminellen Strukturen zunehmend die Internationalisierung und Digitalisierung zunutze machen. Offenkundige Defizite bei den Sicherheitsbehörden werden durch lernfähige Systeme rasch und gezielt ausgenutzt. Was muss nach den letzten Anschlägen in Frankreich und Brüssel noch geschehen, bis sich Einsichten und Lippenbekenntnisse zu konkreten Ergebnissen entwickeln?
Herbert Klein
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